Für diesen Lauf haben wir kein klares Ziel vor Augen, sondern gleich eine ganze Hand voll. Sightseeing im Laufschritt, das heisst Kilometer abspulen und die schönsten Ecken in Zürich zu Fuss erkunden. Wir wollen die Limmatstadt hautnah spüren, entdecken, erleben.
Zwischen Bürogebäuden, Tramgleisen und Kaffeebecher-tragenden Pendlern starten wir mit geschnürten Laufschuhen in diesen frischen Frühlingsmorgen. Unseren Ausgangspunkt, den Escher-Wyss-Platz, wollen wir mit Bus und Tram erreichen, aber als wir vorher am Bürkliplatz noch einmal umsteigen, fühlen wir uns in unserem Lauf-Dress ein bisschen fehl am Platz. Um uns herum nur Anzugträger und Aktentaschen. Während Zürich ins Büro eilt, machen wir das Gegenteil: Wir laufen los, um die Weltstadt im Kleinformat zu entdecken.
Vom Stadtwald zum Zürichsee-Blick
Erst einmal lassen wir die City von Zürich hinter uns, überqueren die Limmat und nehmen den Anstieg zum Waidberg in Angriff. Über kurze Treppen und verwinkelte Fusswege schlängeln wir uns durchs Wohnquartier Sydefädeli und steigen weiter hinauf bis zum Stadtspital. Die Sonne steht noch tief, und oft führt die Route im langen Schatten der Gebäude. Es ist April und in den Gärten um uns herum blüht alles wie verrückt und wir sind absolut begeistert, wie grün Zürich im Frühling sein kann. Und auch, wie erstaunlich ruhig es hier ist. In einem Hinterhof spielt eine Kindergartengruppe, auf der Strasse ist es ruhig, kaum Autos, kein Lärm, der dieses Idyll durchbricht. In so einem Quartier könnte selbst ich mir fast vorstellen zu wohnen. Aber eben nur fast.
Die Laufjacke wandert kurz oberhalb des Stadtspitals Waid endgültig in den Rucksack und nun sind wir ganz im Grünen – Wald statt Vorgarten, Vogelstimmen statt Verkehrslärm. Nur gute fünfzehn Minuten hat es gedauert, vom Start am Escher-Wyss die Stadt hinter uns zu lassen. Trotz seiner Ausdehnung ist Zürich extrem kompakt, und genau das macht es für mich zur perfekten Laufstadt. Grossstadttrubel und Naturidyll liegen so nah beieinander, wie sonst kaum irgendwo. Hier oben geniessen wir die Morgensonne und die Aussicht über die City bis hinunter zum Zürichsee.

Mein Blick schweift weiter – bis zu den Alpengipfeln in der Ferne, die immer noch schneebedeckt sind. „Eine geniale Aussicht“, denke ich, und frage mich gleichzeitig, ob ich das aushalten würde. Die Berge locken, aber sie bleiben fern – fast wie ein Versprechen, das man nicht ganz einlösen kann. Das würde mir vermutlich schwer fallen. „Los, weiter geht’s!“, holt mich Falko zurück in die Realität und schliesse mich seinem Laufschritt an..
Käferberg, ETH und Zürichs Westen
Der Waidberg liegt zwar ein paar Meter höher als der Käferberg, wird von den meisten aber trotzdem Käferberg genannt. Sogar Wikipedia leitet direkt dorthin weiter. Wir folgen also unserer Route – wie auch immer man den Hügel nun nennt – und werfen unterwegs einen Blick auf die kantigen Gebäude des ETH-Campus, bevor wir quer durch Höngg unseren Weg zurück zur Limmat suchen. Damit tauchen wir in den nächsten Abschnitt unserer Tour de Zürich ein: den Westen.
Wir atmen noch einmal tief durch in der kleinen, grünen Oase beim Flussbad Au. Ein paar Mutige (Bekleidete, denn vor dem FKK-Bereich drehen wir bei) sind hier schon am Baden, der Rest geniesst einfach die Frühlingssonne. Langsam wird das viele Grün vom Grau des Betons verdrängt. Der massive Klotz des Toni-Areals – früher eine Molkerei, heute Heimat der Zürcher Hochschule der Künste – ragt neben uns in die Höhe. Unbeeindruckt lassen wir ihn links liegen und gönnen uns an der nächsten Fussgängerampel eine kurze Verschnaufpause. Mit etwas müden Beinen geht’s ein paar Meter hinauf auf die Duttweilerbrücke auf deren Scheitelpunkt wir uns eine kurze Pause gönnen und einen Blick zurück werfen. Hinter uns liegen die schnörkellosen Neubauten von Puls 5 und dem Technopark, dem Zuhause vieler Zürcher Start-ups, wohingegen vor uns die Scheinwerfermasten des Letzigrund-Stadions in den Himmel ragen.
Urbaner Flow über Hardbrücke und Lettenviadukt
Meine Beine werden mit jedem Meter schwerer – wahrscheinlich steckt mir noch der Uetliberg-Run in den Knochen, aber als wir über die Hardbrücke laufen, kommt wieder etwas Energie zurück. Links reckt sich der 126 Meter hohe Prime Tower in den Himmel und das Blau des Himmels spiegelt sich kühl in seinen tausenden Fenstern.
Der Westen Zürichs war früher Industriezentrum – Giessereien, Lagerhallen, Textilfabriken. Heute ist das hier ein Ort im Wandel, voller Kontraste: urbane Kultur, Kunst, Innovation, modernes Wohnen. Wir schauen vorbei in Frau Gerolds Garten, blicken hinauf zum FREITAG-Turm aus bunten Containern, schmecken Streetfood-Gerüche und überall entdecken wir liebevoll platzierte Deko – mal hängend, mal stehend, immer ein bisschen verrückt. Ich liebe diese bunten Flecken in einer Stadt und am liebsten würde ich hier einfach bleiben, Kaffee holen, in der Sonne sitzen, das Leben geniessen. Aber Falko gibt das Tempo vor – und Zürich hat noch mehr auf Lager.

Auch wenn die Beine langsam schwer werden, nehme ich die paar Stufen hinauf zum Lettenviadukt noch mit. Ich will noch einmal auf Augenhöhe mit der Stadt laufen. Das alte Eisenbahnviadukt zwischen Hauptbahnhof und Wipkingerbrücke gehört mittlerweile fest zur Zürcher Laufkultur. Hier oben hat man einen ganz eigenen Blick auf die Stadt – und läuft direkt weiter zum Oberen Letten, diesem entspannten Flussbad, das im Sommer fast schon ein eigenes Lebensgefühl verkörpert.
Noch ein letztes Mal überqueren wir die Limmat und erreichen den Platzspitz Park, direkt neben dem Landesmuseum. Hier endet unser Sightseeing Run – 14 Kilometer Zürich in komprimierter Form. Wir stehen kurz still, atmen durch und kommen runter, bevor wir uns wieder ins Getümmel stürzen: Autos, Trams, Busse, Menschen. Zürich pulsiert – und wir, mit müden Beinen und dem Kopf voller Eindrücke, sind mittendrin.
So ein Run zeigt mir immer wieder, wie vielfältig Zürich ist – und wie schnell man hier vom urbanen Trubel ins Grüne kommt. Zwischen Fluss, Wald, Architektur und Szenevierteln liegt nur ein Schritt. Oder vielleicht auch 14'000. Ganz egal. Für einen Morgen wie diesen lohnt es sich, die Stadt laufend zu entdecken. Und ich weiss jetzt schon: Die nächste Stadt wartet schon.