Wanderung auf den Piz Julier

Wanderung auf den Piz Julier

Alpine Wanderung mit Panoramablick hoch über dem Engadin

Author: Marina Kraus
Marina Kraus
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StoriesAugust 2025

Vom Julierpass über Blockfelder und ausgesetzte Grate zur Crasta da la Senda – der Weg auf den Piz Julier belohnt mit Tiefblicken und Weitsicht über das Engadin.

Neben dem Albulapass quert auch der Julierpass die Albula-Alpen – ein markantes Gebirge, dessen höchster Gipfel der 3418 Meter hohe Piz Kesch ist. Unser Ziel ist heute jedoch ein wenig niedriger: der 3380 Meter hohe Piz Julier – oder, wie er im Rätoromanischen genannt wird, Piz Güglia. Von seinem Gipfel soll man eine spektakuläre Aussicht geniessen können – und genau die will ich nun bei meiner zweiten Besteigung endlich erleben, denn bei der ersten konnten wir die Aussicht vor lauter Nebel leider überhaupt nicht geniessen.

Der Piz Julier ist ein echter Brocken aus Granit und Gneis. Er thront hoch über St. Moritz, seine steilen Felswände ragen eindrücklich in den Himmel. Bereits 1859 wagten sich die Erstbesteiger bis ganz nach oben. Der heutige Aufstieg ist weiss-blau-weiss markiert und laut SAC-Skala als T5- eingestuft – sprich, hier ist Trittsicherheit und Schwindelfreiheit keine Empfehlung, sondern Pflicht.

Unter dem Piz Julier bei Muteratsch

Die meisten Alpinwanderer starten ihre Tour vom Julierpass aus. Ein kleiner Parkplatz östlich der Passhöhe bietet den idealen Ausgangspunkt. Steil, aber technisch wenig schwierig führt der Weg über sandige und schuttige Pfade bergauf. Weiter oben windet er sich durch ein imposantes Blockfeld im Gebiet Munteratsch. Mal hüpfen wir von Stein zu Stein, mal folgen wir dem Wegverlauf – rund 700 Höhenmeter gilt es so zu überwinden, bevor wir in einem weiten Linksbogen die Fuorcla Albana auf 2’869 m erreichen.

Historisch spielte der Übergang zwischen St. Moritz und Silvaplana nie eine bedeutende Rolle, weder für Handel noch fürs Militär. Und doch steht hier eine kleine steinerne Schutzhütte. Sie bietet im Notfall einen willkommenen Rückzugsort, denn auf dem ansonsten ausgesetzten Grat ist Schutz rar, vor allem, wenn ein Gewitter plötzlich schneller heranzieht, als einem lieb ist.

Hoch über St. Moritz

Statt also wieder in Richtung St. Moritz abzusteigen, setzen wir den Aufstieg fort – nordwärts, dem Grat entlang. Noch rund 500 Höhenmeter trennen uns vom Gipfel. Die Crasta da la Senda ist steil, ausgesetzt und bietet atemberaubende Tiefblicke. Ketten und Eisenstangen geben Halt und entschärfen einige knifflige Stellen. Doch anspruchsvoll bleibt der Weg allemal: wer nicht schwindelfrei ist, wird hier kaum Freude haben. Ich spreche da aus Erfahrung: Bei meinem ersten Besteigungsversuch – über ein Jahrzehnt her und mit wenig Bergerfahrung – musste ich umkehren, weil mir die Höhenangst zu schaffen machte.

Kletterei am Piz Julier

Bei anderen Wanderungen im Engadin sind wir schon vielen Steinböcken begegnet. An diesem Tag haben wir jedoch kein Glück und begegnen keinem der imposanten Kletterkünstler mit ihren gebogenen Hörnern. Dafür werden wir auf andere Weise belohnt, denn die Aussicht vom Piz Julier ist alles andere als garantiert. Bei meiner ersten Besteigung vor einigen Jahren stand ich zwar am Gipfel, sah aber rein gar nichts. Whiteout pur: Der Gipfel steckte mitten in einer dichten Wolke, was hier keine Seltenheit ist.

Als höchster Punkt zwischen den umliegenden Bergen wirkt der Piz Julier wie ein Magnet für Wolken. Heute aber: perfektes Wetter. Die umliegenden Berge leuchten in allen Nuancen von Hellgrau über Anthrazit bis Rostrot und die Farbenvielfalt dieser sonst so kargen Landschaft wirkt wie gemalt. Ich will jedes Detail dieses Panoramas in mich aufsaugen und nie wieder loslassen. In solchen Momenten weiss man wieder ganz genau, warum man sich immer wieder auf den Weg in die Berge macht.

Vom Piz Julier zum Julierpass

Jetzt im Sommer zeigt sich die Landschaft in sattem, kräftigem Grün und die Hänge sind voller Leben und Farbe. Doch im Herbst verwandelt sich das Engadin: Wenn sich die Nadeln der Lärchen goldgelb färben, legt sich ein warmes, fast magisches Licht über die Landschaft. Alles leuchtet, als hätte jemand einen Filter über das Tal gelegt: ein goldenes Engadin auf einem ganz neuen Level.

Tief unten glänzen türkis die Seen. Links der St. Moritzersee, rechts der Silvaplanersee und selbst von hier oben sind die bunten Kites der Surfer gut zu erkennen. Der Malojawind, ein thermischer Talwind, entsteht durch die Temperaturunterschiede zwischen den warmen Hängen und der kühleren Luft im Tal. Diese zuverlässigen Windverhältnisse machen den Spot im Sommer zu einem Paradies für Wind- und Kitesurfer. Das Zusammenspiel aus blauem Wasser und grandioser Bergkulisse ist einfach einmalig.

Der Abstieg über den gut gesicherten Grat verläuft zügig und problemlos. Bei der Schutzhütte an der Fuorcla Albana legen wir noch eine letzte Pause ein. Dann heisst es noch einmal durchatmen, bevor es durch die schottrige Flanke und das Geröllfeld zurück zum Ausgangspunkt am Julierpass geht.

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Über Marina Kraus

Marina Kraus
Marina ist am liebsten draussen unterwegs – Schritt für Schritt, bergauf, bergab, mittendrin statt nur dabei. Als angehende Wanderleiterin beim Schweizer Bergführerverband plant und führt sie Touren für unsere Community, immer auf der Suche nach besonderen Wegen, aussichtsreichen Pausenplätzen und Momenten, die bleiben. Sie liebt es, gemeinsam mit anderen draussen unterwegs zu sein – egal ob über felsige Grate oder durch tiefgrüne Wälder. Und für alle, die (noch) nicht mitkommen konnten, schreibt sie Geschichten vom Wegesrand: ehrlich, nahbar und mit dem gewissen beAnywhere-Gefühl im Gepäck.
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