Schschsch… schschsch… Langsam, Schritt für Schritt, Meter für Meter schiebe ich mich in Richtung Gipfel. Es ist ein ziemlich unwürdiges Bild, das ich hier kurz vor dem Gipfel des Fletschhorns abgebe – von alpinistischer Eleganz kann keine Rede mehr sein.
Das Fletschhorn ist mit seinen 3’985 Metern wirklich kein Riese, und trotzdem hat es mich auf dieser Skihochtour mit Höhenproblemen "völlig verspult", wie man so schön sagt. Dass es trotzdem mit diesem alpinistisch interessanten Gipfel geklappt hat, verdanke ich vor allem meiner Tourenpartnerin Evelyn, die es – ohne Druck zu machen – immer wieder geschafft hat, mich zu den nächsten Spitzkehren zu motivieren. Das kann nicht jeder, und funktioniert auch nur, wenn man selbst in diesen Momenten über genügend Reserven verfügt. Chapeau!

Akklimatisationstour zum Lagginjoch
Wir sind am Vortag angereist und haben die ersten, eher unspektakulären rund 850 Höhenmeter mit der Seilbahn bis zum Kreuzboden auf 2’399 Metern abgekürzt. Unser Plan sieht vor, heute entspannt über die Weissmieshütten (2’726 m) aufzusteigen, dort ein wenig Gepäck zu deponieren und anschliessend die rund 800 Höhenmeter bis ins Lagginjoch als Akklimatisationstour in Angriff zu nehmen. Eine technisch einfache Tour, die dennoch mit herrlichen Ausblicken ins Laggintal und in die Gondoschlucht mit dem kleinen, tief unten im Tal liegenden Weiler Simplon aufwartet und in der Abfahrt ein paar lohnende Hänge bereithält.
Wir lassen es gemütlich angehen und steuern schon bald in Richtung Lagginjoch von den Skipisten weg gen Osten. Von hier sind es gerade einmal noch knappe 500 Höhenmeter. Wir können alten Spuren folgen und erreichen so nach einer guten Stunde Aufstieg das obere Ende des nur noch kläglich vorhandenen Laggingletschers. Von hier sind es vielleicht noch 30 Höhenmeter bis ins Lagginjoch. Eigentlich nicht viel, und trotzdem habe ich das Gefühl, soeben von einem Halbmarathon zurückgekehrt zu sein. Scheinbar läuft es mit der Höhenanpassung nicht so richtig rund – wie das wohl morgen am knapp 500 Meter höheren Fletschhorn gehen wird?
Etwas kleinlaut trete ich den Rückweg an. Mit ein paar schönen Schwüngen rauschen wir die ideal geneigten Hänge westlich des Lagginjochs hinunter und erreichen rasch wieder die Piste, der wir in wenigen Minuten bis zur Weissmieshütte folgen. Hier ist für heute Endstation. Wir verbringen den restlichen Tag mit Chillen, Plaudern, Essen und Trinken. Wobei – das mit dem Essen muss ich leider relativieren, denn ich habe einfach keinen Appetit…
Höhenprobleme auf nicht einmal 4000 Meter? Klar geht das!
Roberto, der Hüttenwart der Weissmieshütten, und sein Team kochen ein richtig leckeres Abendessen. Umso mehr schmerzt es mich, dass ich einfach kaum einen Bissen hinunterbekomme. Es ist eines der typischen Symptome der Höhenkrankheit: Appetitlosigkeit steht oft an vorderster Stelle, gefolgt von Kopfschmerzen und Benommenheit. Es ist ein Teufelskreis: tagsüber wird der Körper gefordert, dann bekommt er nicht die Energie, die er benötigt, und zum Schluss wird ihm auch noch der Schlaf verweigert, um sich zu erholen. Immerhin kommen im Laufe der Nacht doch noch ein paar Kalorien hinzu, denn irgendwann knurrt mein Magen so stark, dass ich aufstehe und mich im schwachen Licht der Flurbeleuchtung über einige Müsliriegel hermache.
Das Fletschhorn – im Winter besser als im Sommer?
Das knapp unter der 4000-Meter-Marke liegende Fletschhorn erhält im Sommer während der Hochtourensaison häufig Besuch. Insbesondere der Normalweg via Tälligletscher und dem oberen Teil des Grüebugletschers wird oft begangen, auch die Überschreitung Fletschhorn–Lagginhorn erfreut sich grosser Beliebtheit. Im Winter hingegen fristen die Berge auf der östlichen Seite des Saastals eher ein Schattendasein. Es sind keine typischen Skitourenberge – insbesondere das Lagginhorn lässt sich gar nicht mit Ski besteigen, und auch das Weissmies macht eher im Sommer von sich reden.
Während unseres Aufstiegs stellen wir uns die Frage, ob die Besteigung im Winter nicht eigentlich die schönere Variante ist. Aufgrund des Abschmelzens der Gletscher und Firnfelder ist der Zustieg bis zum Grüebugletscher im Spätsommer eine mühsam zu begehende Gerölllandschaft mit Blockfeldern. Wir hingegen können bis auf etwa 3’300 Meter mit den Ski aufsteigen, bevor das Gelände zu steil wird und wir auf Steigeisen wechseln. Dank guter, stabiler Schneelage sind die folgenden Meter bis zum Vereinigungspunkt mit den Ausläufern des Jegigrats unschwierig machbar, und bald stehen wir auf dem breiten Gletscherrücken auf rund 3’500 Metern. Vor uns öffnet sich der Blick auf den weiteren Routenverlauf über den Grüebugletscher, der sich stellenweise zerklüftet, heute aber gut verschneit bis zum Gipfel des Fletschhorns hinaufzieht.
Das Fletschhorn hat eine besondere Geschichte. Bis in die 1950er-Jahre knackte der Berg knapp die magische Grenze von 4000 Metern. Mit zunehmender Erosion, dem Abschmelzen der Eis- und Firnkuppe am Gipfel und genaueren Vermessungstechniken verlor er diesen Status, machte aber bald mit anderen Schlagzeilen von sich reden. Die Gemeinde Saas-Grund plante, den Gipfel durch bauliche Massnahmen wieder zum Viertausender zu erheben – ein Vorhaben, das schliesslich vom Kanton Wallis abgelehnt wurde. So fehlen dem Fletschhorn nun 15 Meter, um wieder in den erlauchten Kreis der höchsten Schweizer Gipfel aufgenommen zu werden. Der Vielfalt seiner Routen tut das jedoch keinen Abbruch: Mit der Überschreitung zum Lagginhorn, dem Breitloibgrat von Nordosten und der Wiener Route durch die Nordwand existieren neben dem Normalweg mehrere, teils anspruchsvolle Aufstiege auf diesen Gipfel, der sich insbesondere vom Breithorn oberhalb des Simplonpass aus als gewaltiges, über 2000 Meter hoch aufragendes Bollwerk präsentiert.

Abfahrt über den Grüebugletscher
Nach dem sogenannten Frühstücksplatz gehen wir die letzten 500 Höhenmeter an. Während bei mir die Höhe nun voll zuschlägt, ist Evelyn im Komfortmodus unterwegs. Auf meine Rechnung geht unsere langsame Zeit bis zum Gipfel – ihr gebührt viel Respekt für die dezente, aber konstante Motivation, die mich irgendwie doch noch bis nach oben bringt.
Das markante Gipfelkreuz, das im Sommer 2025 erneuert wurde, markiert für mich das Ende der Strapazen und für uns den Beginn der Abfahrt. Wir wählen die Route über den Grüebugletscher hinunter in das auf der Landkarte namenlose Hochtal südlich des Rothorngrats. Diese abgelegene Ecke des Saastals mit dem kleinen Grüebusee und dem Fellsee erfährt nur wenig touristische Aufmerksamkeit. Keine Seilbahnen führen hierher, nur einige romantisch am Berghang gelegene Weiler zeugen von der Nutzung als weitläufige Alpflächen während der Sommermonate.

Dank gut verschneitem Gletscher und schönem Schnee verlieren wir rasch an Höhe und befinden uns schon bald im weitläufigen Talkessel. Unter der weissen Schneedecke schlummert jedoch auch Gefahr, denn der Blockgletscher und die Gletscherseen drohen, sich ins tief unten liegende Saas-Balen zu entwässern. Mit der zunehmenden Abschmelze der Gletscher steigt die Gefahr solcher Murgänge und Überschwemmungen – sie bedrohen immer häufiger ganze Ortschaften in den Bergregionen.
Abgenommen hat hingegen unsere Höhe – und mit ihr steigt auch mein Wohlbefinden deutlich an. Nachdem wir es auf der Alpstrasse geschafft haben, auf den letzten Schneeflecken bis fast ganz nach Saas-Balen abzufahren, fühle ich mich wieder frisch und munter. Der Effekt, bei Höhenproblemen schon nur wenige hundert Höhenmeter abzusteigen, sollte niemals unterschätzt werden. Er kann bereits eine deutliche Besserung der Symptome bringen.
Das ganzjährig regelmässig verkehrende Postauto bringt uns in wenigen Minuten zurück an unseren Ausgangspunkt in Saas-Grund, wo wir mit einem kühlen Rivella die doch noch erfolgreiche Besteigung des Fletschhorns feiern. Merci, Evelyn, fürs mentale Den-Berg-hochziehen!




