Knapp 1800 Meter in der Vertikalen trennen uns vom Genfersee, unsere Blicke gehen weit in die Tiefe. Von unten wirkt Le Grammont unscheinbar, fast ein wenig zurückhaltend. Doch hier oben auf dem Gipfel ist alles anders: Die Aussicht ist schlichtweg überwältigend. Damit könnte man die Tour eigentlich schon zusammenfassen. Aber der Grammont hat mehr zu erzählen, also spulen wir zurück, an den frühen Morgen.
Wir sind früh unterwegs und um 7 Uhr ist der Parkplatz bei Miex fast leer. Den ersten steilen Aufstieg zum Lac de Taney, wo noch eine magische Stille herrscht, bringen wir schnell hinter uns. In der kleinen Herberge sehen wir durch die offenen Fenster die Übernachtungsgäste drinnen beim Kaffee sitzen, während draussen die ersten Sonnenstrahlen über die Bergrücken klettern. Für uns folgt der weitere Aufstieg im Halbschatten, weit weg vom Lärm des Rhônetals.
Vor uns ragen die schroffen Spitzen der Les Jumelles in den Himmel, markante Wegweiser, die uns die Richtung zum Col des Crosses weisen. In der Nähe der Alp Les Crosses haben ein paar Leute das stabile Frühlingswetter genutzt und hier oben biwakiert. Jetzt sitzen alle gemeinsam um den Kocher und freuen sich auf den ersten Kaffee, bevor der Tag richtig beginnt.
Der Le Grammont selbst empfängt uns allerdings nicht gerade mit Postkartenwetter. Wolkenfetzen spielen mit dem Panorama, lassen den Blick auf den Genfersee nur häppchenweise zu. Doch gerade das macht es spannend, denn jedes kleine Fenster in der Wolkendecke ist eine Überraschung, mal entdecken wir ein Boot, das dort unten unterwegs ist oder erhaschen einen Blick auf ein Stückchen Ufer. Aber auch in die anderen Richtungen gibt es viel zu entdecken. Neben dem See blicken wir direkt auf die Riviera und in den Wolken ringsherum lassen sich die Bergriesen rund ums Rhônetal erahnen.
Um nicht auf demselben Weg zurückzuwandern, folgen wir dem Grat Richtung Alamont. Der Pfad verlangt hier Trittsicherheit und Schwindelfreiheit, führt durch steile Flanken und schmale Passagen. Abenteuerlich und ein wenig fordernd, also genau das, was unser Wanderherz höher schlagen lässt. Und hier sind wir nicht mal alleine unterwegs. Plötzlich steht ein junger Steinbock mitten auf dem Weg. Nur wenige Meter entfernt mustert er uns neugierig. Für einen Moment vergessen wir die Landschaft und fragen uns: Wer beobachtet hier eigentlich wen?
Am Alamont wartet ein schlichtes Gipfelkreuz, bevor wir den Bogen zurück zum Lac de Taney schlagen. Dort herrscht inzwischen sommerliche Mittagsstimmung: Kinder spielen am Ufer und Ausflügler geniessen die Sonne oder sitzen auf der Terrasse des Refuge La Vouivre. Ein starker Kontrast zur Stille vom Morgen und ich bin froh, dass wir uns aufgerafft haben und so früh gestartet sind. Für uns ist es hier der perfekte Schlusspunkt, bevor wir zurück zum Parkplatz wandern.
Mit etwas Planung wird der Grammont zu einem Erlebnis abseits des Trubels. Ein Genussgipfel, der auf jeden Fall mit seiner Ruhe und Aussicht überzeugt.